Dienstag, 31. Mai 2011

Nicht böse sein! (2006, Dir: Wolfgang Reinke)


Berlin-Kreuzberg: Wolfgang, Dieter und Andi sind süchtig, ersterer nach der Flasche, die beiden Anderen nach der Nadel. Ein Dokumentarfilm über Drogenabhängige - nichts neues? Von wegen!
NICHT BÖSE SEIN erhebt erstaunlicherweise nie den Zeigefinger, im Gegenteil. Die Filmemacher inszenieren deutlich im Sinne der drei Protagonisten und geben so dem drogenabhängigen Versager aus der Nachbarschaft ein Gesicht, eine Stimme und ein Leben.
Der Großteil des Films spielt sich in der Bruchbude Wolfgangs ab. Schonungslos beobachtet die Kamera die drei Freunde bei jedem neuen Schuss, bei jeder neuen Flasche, bei jeder Streiterei und hält den tristen und traurigen Alltag fest.
Trotzdem sympathisieren wir mit den drei Anti-Helden dieser No-Budget Produktion, die einerseits tiefes Mitgefühl und Trauer hervorruft, aber gleichzeitig mit einer riesigen Portion Charme und Einfühlsamkeit angereichert ist. So hofft der Zuschauer bei jeder hitzigen und oftmals überraschend tiefgründigen Diskussion über Recht und Unrecht (Wolfgang: „Strafe muss sein, sonst geht es nicht!“), Liebe oder den Tod, dass sich die drei Freunde doch wieder vertragen und sich in ihrer elenden Sucht zumindest gegenseitig Halt geben. Denn die Berliner sind sich ihrer krassen Situation in vollem Maße bewusst, geben aber gleichzeitig frustriert und resignierend zu, ihrem Alltag nicht entrinnen zu können.
Neben der einfachen Abbildung der Drogenabhängigkeit geht NICHT BÖSE SEIN aber auch auf Ursachenforschung und zeigt z.B. Wolfgang intim in Erinnerungen an seine verkorkste Kindheit schwelgend oder Andi treffend analysieren: „Kein Mensch lebt doch gern alleine, aber so zu leben ist auch scheiße!“
Wissenswert: Regisseur Wolfgang Reinke kannte die drei Protagonisten seiner Dokumentation, die 2008 mit dem deutschen Schnittpreis ausgezeichnet wurde, schon lange vorher; sie waren seine Nachbarn. So wird klar, wo diese allgegenwärtige Intimität herrührt, und wertet die enorme zwischenmenschliche Leistung der beiden Filmemacher Reinke/Olivares noch mal auf.
Nur mit privaten Spenden und ihrem eigenen Arbeitslosengeld finanzierten die Freunde ihr Herzensprojekt und wurden erst vor der Post-Produktion mit ein wenig Filmförderung unterstützt. Aus Sicht aller unabhängiger Filmemacher in Deutschland kann ich nur hoffen in Zukunft häufiger von derartigen Projekten zu hören...vielleicht hat der deutsche Film dann ja doch noch eine ernstzunehmende Zukunft.

Text: andyewest88