Samstag, 18. Juni 2011

The Tree of Life (2011, Dir: Terrence Malick)


Die Kunstform Film muss - ähnlich wie nach Kubricks Jahrhundertfilm "2001" - neu definiert werden. Malick ist ein weiteres Mal über sich hinaus gewachsen und serviert uns einen Grenzen sprengenden zweieinhalbstündigen, zu keiner Sekunde langweiligen Train of Thought, der so atemberaubend schön fotografiert und montiert ist, wie man es zuvor schlicht noch nicht gesehen hat und vielleicht auch nie wieder sehen wird. Es gibt zur Zeit wohl keinen anderen derart poetischen und visuell stilsicheren Regisseur wie Malick, dessen Werk vielleicht erst in 50 Jahren die Würdigung bekommt, die es verdient hat. Auch hier sehe ich jetzt schon erstaunliche Parallelen zum guten Stanley. Dieser wäre im Übrigen wohl überaus stolz auf Malick gewesen, da er sein Werk geliebt hätte und gleichzeitig niemals so hätte verwirklichen können. Man kann der Jury von Cannes 2011 nur zur ihrer Entscheidung gratulieren. Ein zeitloses Ultrameisterwerk, ein Überfilm. Der TREE OF LIFE ist in der Tat überlebensgroß.
Text: Le Samourai
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„The Tree of Life“ ist zweifellos ein Kunstwerk. Terrence Malick stellt die ganz großen Fragen, Emmanuel Lubezki liefert die vollkommenen Bilder, wie sie wahrscheinlich noch nie zu sehen waren. Es ist der Versuch eines nahezu allumfassenden Films.
Was Malick in „The Thin Red Line“ in einer wohltuenden Mischung inszenierte – die Kombination von Realismus und Poesie – treibt er bei „The Tree of Life“ auf die Spitze und darüber hinaus. Es gesellen sich Philosophie und die Tragik der menschlichen Existenz dazu.
Die Vergleiche zu „2001 – A Space Odyssey“ und auch „The Fountain“ liegen somit auf der Hand. Während jedoch diese beiden, für mich gelungeneren Filme immer wieder zur Geschichte zurück finden und den Zuschauer nicht vollständig alleine lassen, verliert sich „The Tree of Life“ oftmals vollends in seinen Bildern. Das ist an sich nichts Negatives, ohne emotionalen Leitfaden jedoch verdammt riskant. Malicks traumhafte Bildsprache und seine Assoziationen florieren derart frei durch den filmischen Äther, dass man wohl schon einen ganz besonderen Moment erwischt haben muss, um von diesem Film durchweg gepackt zu sein. Den Teil des Publikums, der mit offenem Mund vor der Leinwand sitzt und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, beneide ich. Ehrlich und ernsthaft. Mir war es nicht vergönnt.
Die mehr als ausgiebige Evolutionssequenz kann man als das wohl aufwändigste Kamera-Showreel aller Zeiten bezeichnen. Die perfekte BBC-Naturdokumentation. Die Dinosaurier vergesse ich an dieser Stelle allerdings ganz schnell. Die habe ich mir eingebildet. Die waren nicht da. Auch die Tatsache, dass ich jetzt jedes Mal beim In-die-Sonne-gucken an Terrence Malick denken muss, soll nicht weiter erwähnt werden :)
Aber nochmal und ernsthaft: die Kameraarbeit (und nebenbei auch der Schnitt) sind einfach ganz großes Handwerk.
Trotzdem ist es das Missverhältnis von (zu vielen) glanzvollen Bildern subjektiver Wahrnehmung und (zu wenig) ergreifendem, real gezeigtem Drama, das emotional an mir vorbeiging. So wirkt die Geschichte in großen Teilen wie Beiwerk und konnte mich in letzter Konsequenz nie wirklich erreichen. Der distanzierte Vater, die engelsgleich-perfekte Mutter. Fragmente der Erinnerung und vielleicht deshalb stilisiert und verwässert. Aber dadurch gezwungenermaßen ebenso konturlos und stellenweise weit über der Grenze zum Kitsch.
Vielleicht kann man im Film einfach nicht ALLES – Liebe, Verlust, Trauer und dazu noch die Sinnfragen der Menschheit - auf höchstem Level miteinander vereinbaren. Kein Malick, kein Kubrick, niemand. Man kann aber vielleicht sagen, dass Malick es versucht und nicht geschafft hat. Alleine der Versuch ist dabei natürlich schon aller Ehren wert, muss sich aber auch an den eigenen Ansprüchen messen lassen.
Es ist ein Film, der aufgrund seiner Machart die Meinungen spalten MUSS. Denn packt er einen nicht nur visuell, sondern auch emotional, kann er in ungeahnte Höhen aufsteigen. Packt er einen nicht… tja, dann nicht.
Am Ende steht eine nichts sagende 7.0, denn die repräsentiert im Universum austauschbarer Begrifflichkeiten hierzulande ein „sehenswert“. Und der Film ist aufgrund seiner nahezu perfekten Bilder und subjektiven Erzählweise wert, gesehen zu werden. Und dennoch bleibe ich unbefriedigt zurück, denn wenn das vorherrschende Gefühl beim Abspann Erleichterung ist, kann ich leider nicht von einem überwältigenden Erlebnis sprechen. „The Tree of Life“ stirbt in Schönheit. In wundervoller, formvollendeter, teilweise unerträglich langweiliger Schönheit.
Text: Gordon Cole
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Ich werde ihn lieben - Meine Standard-Antwort, die ich mantra-artig herunterbetete in den letzten Wochen, wenn das Thema TREE OF LIFE aufkam. Irgendwann wunderte ich mich schon selbst - Woher nehme ich diese Sicherheit, dass Malicks neues Werk genau meinen Geschmack trifft? Die Kritiker in Cannes? Gespalten. Der Trailer? Wunderschön, aber irgendwie auch nichtssagend. Malicks Filmographie? Außer The Thin Red Line nichts gesehen.
Intuition? Unsinn.
Also habe ich das heutzutage beinahe unmögliche versucht: ich wollte mir das hoch gepriesene aber ebenso schwer zerrissene Epos unvoreingenommen ansehen. Und wie gerne würde ich behaupten können, dass mir dieses Kunststück gelungen ist. Aber ich weiß es nicht. Fakt ist, THE TREE OF LIFE hat mich umgehauen. Der Versuch alles nur Erdenkliche, jedes Gefühl, jede Regung, jeden Augenblick, ja sogar die Entstehung des Universums, in etwas mehr als zwei Stunden zu pressen scheint vermessen und idiotisch. Malick ist er geglückt.
In einem vermeintlich vollkommen willkürlichen Sammelsurium an Emotionen dreht sich die Handlung, wenn man das überhaupt so nennen darf, um eine im mittleren Westen der USA lebende Familie in den 50er Jahren. Fragmentarisch und scheinbar austauschbar bekommen wir das komplette Spektrum der Gefühlspalette serviert. Trotzdem wirkt THE TREE OF LIFE nie überladen oder hektisch, was in erster Linie im herausragenden Schnitt begründet liegt. Die Montage spart jedes überflüssige Wort aus und lässt der gewaltigen Bildsprache dadurch viel Raum und Zeit sich frei zu entfalten. Vor allem regt diese kunstvolle Aneinanderreihung von Bildern aber zum Nachdenken an; immer wieder habe ich mich dabei ertappt, wie ich mich an meine eigene Kindheit erinnerte und bestimmte Situationen Revue passieren ließ.
Nebenbei handelt Malick dann noch die Entstehung des Universums ab, webt diese aber so behutsam und geschickt in das Gesamtwerk ein, dass sie der Haupthandlung einen absoluten Mehrwert verschafft und die emotionalen Höhen und Tiefen der Protagonisten in einen kosmischen, allumfassenden Kontext setzt.
Alles Punkte über die sich mit Sicherheit streiten lässt und die jeder Zuschauer wohlmöglich ganz anders wahr nimmt. Worüber sich aber keinesfalls streiten lässt, ist die herausragende Fotografie. Bild für Bild für Bild - THE TREE OF LIFE ist in seiner Optik formvollendet. Punkt. Darüber brauche ich kein weiteres Wort verlieren.
So abgedroschen es sein mag, wie Kubricks 2001: A Space Odyssey ist Malicks neuestes Werk Geschmacksache und ich werde mich auf keinerlei Diskussionen über Gefallen oder Nicht-Gefallen einlassen. Das muss jeder für sich entscheiden. Auch wenn mir die Objektivität bei der ersten Sichtung vielleicht gefehlt hat, ich freue mich wahnsinnig darauf dieses Meisterwerk noch einmal, wahrscheinlich sogar zwei oder dreimal, zu sehen. Trotzdem hat sich meine erste Erwartung schon jetzt bestätigt: Ich liebe ihn.
Text: andyewest88
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Die Realisierung von "Tree of Life" ist Terence Malicks größter Coup bisher. Das Engagement von zwei der größten zeitgenössischen Hollywoodstars zur Finanzierung eines letztendlich unverschämt unkommerziellen Projekts, welches 3/4 der Zuschauer, die sich aufgrund solcher Castlisten für einen Film entscheiden, schlussendlich wahrscheinlich verärgert oder schlafend im Kinosaal zurücklässt, verdient höchsten Respekt. Es ist mit großer Genugtuung verbunden zu sehen, dass dies in der hochgradig industrialisierten Filmlandschaft abseits von Festivalkreisen und Nischenvorstellungen noch möglich ist und der Film wirkt herrlich im Kontrast zu allem, was einem sonst von Hollywood an den Kopf geworfen wird.
Malicks Inszenierung wechselt zwischen bombastisch und poetisch und verwirklicht auf formeller Seite fantastische Gegenpole für die inhaltlichen Gegenüberstellungen von Existentialismus und Spiritualität, von Wissenschaft und Religion. Einerseits die visuell erstaunliche, kraftvolle Genese, vom Urknall bis zur Doppelhelix, die den ersten Akt zu einem überwältigenden Erlebnis macht. Andererseits der Mensch als dessen Ergebnis, der Vorgarten einer Südstaatenfamilie Mitte des letzten Jahrhunderts. Die Elemente sind die Hauptdarsteller, von kosmischen Gaswolken hin zu lebensspendendem Wasser und beispiellos eingesetztem natürlichen Licht, mal mehr, mal weniger im Fokus, aber stets präsent. Die Verbundenheit alles Lebens als Konzept, die Ambitionen sind kolossal.
Malick untergräbt diese Epik leider mehrfach selbst, indem er sich auf Motive und Stilmittel verlässt, die sein Werk eigentlich nicht nötig hat, um uns seine Bedeutungsschwere auf die Nase zu binden. Bilder von der Entstehung des Lebens im Universum besitzen ein so enormes Eigengewicht, dass man ohne vorsichtigen Umgang schnell die Grenze zum Kitsch überschreitet. Ein Sternennebel und eine wispernde Stimme “Where did I come from? How will I find you?” und man ist auf einmal geistig nicht mehr weit entfernt von Bildern für eine Horoskophotline im nächtlichen Kabelprogramm. Postkartenmotive von Sonnenblumen im Wind oder Werbefotografie in Penns höchstwahrscheinlich stark zusammengeschnittenen Part; diese Assoziationsanflüge berauben "Tree of Life" kurzzeitig schmerzlich einen Großteil seiner Leichtigkeit und sonst so eindrucksvollen, organischen Eleganz.
Text: FredFuchs