Sonntag, 19. Februar 2012

Tabu (2012, Dir: Miguel Gomes)


Am Anfang steht ein portugiesischer Abenteurer mit gebrochenen Herzen, der auf ein melancholisches Krokodil trifft. Ziemlich schnell ist man also in der teils absurden, aber immer poetischen Filmsprache von Miguel Gomes. 
"Tabu" ähnelt einem Überraschungsei, nur dass statt "Spannung, Spiel und Schokolade" die Attribute "Tragikomik, Liebe und Kritik" sind. Die ersten beiden Begriffe zeigen sich in den zwei völlig unterschiedlichen Hälften des Films. Im ersten Teil lernen wir drei Frauen aus der Lissaboner Vorstadt kennen. Die feine Dame Aurora, ihre schwarze Haushälterin Santa und die hilfsbereite Pilar. Die Beziehung der Frauen untereinander ist durch eine Mischung aus Verbundenheit und Einsamkeit gekennzeichnet. Alle wirken sie melancholisch, genau wie das Krokodil. Alle sind sie Außenseiterinnen im Portugal der heutigen Zeit. 
Aurora ist das Bindeglied zur zweiten Hälfte des Films. Der Rückblick auf ihr Leben als wohlhabende Plantagenbesitzerin in Afrika ist als Stummfilm inszeniert (genau wie der Titel des Films eine Hommage an F.W. Murnaus Abenteurfilm "Tabu" von 1931) und wird nur vom Voiceover ihres Liebhabers Gian Luca begleitet. An sich eine mutige Entscheidung, da viel gesprochener Text oftmals als "erzählerisch faul" bezeichnet wird. Gomes' Umgang mit Sprache besitzt jedoch eine außergewöhnliche lyrische Qualität und schafft eine zweifellos stimmige Atmosphäre. Immer wieder gleitet die schlichte und schöne Liebesgeschichte dabei in absurd wirkende Verweise auf (filmische) Epochen, beispielsweise wenn Gian Lucas Swing-Band amerikanische Songs am Pool der Plantage zum Besten gibt, während die Einheimischen - meist nur im Bildhintergrund, wenn überhaupt - für die weißen Kolonialherren schuften. 
Die beiden Teile des Films würden für sich genommen gut funktionieren, stellten ohne weitere Betrachtung aber wohl nicht mehr als einen narrativen Kniff dar. Bei einem klugen Regisseur wie Gomes kann man aber davon ausgehen, dass es nicht nur eine Verknüpfung dieser beiden Zeitebenen gibt, sondern dass diese auch noch für etwas anderes stehen. In diesem Fall ist es der kritische Blick des Filmemachers auf sein Heimatland Portugal. Auf das, was es mal war, eine der führenden Kolonialmächte der Welt. Und auf das, was es heute ist, eines von vielen verschuldeten Ländern Europas, das den Ernst der Lage womöglich noch nicht begriffen hat und längst vergangenen Zeiten nachhängt. Genau wie die alte Aurora, die mal wieder all ihr Geld im Casino verspielt hat, sich aber auf keinen Fall von ihrem Pelzmantel trennen will. Und die es immer noch gewohnt ist, von einer Schwarzen bedient zu werden. Obwohl der Regisseur damit einen bösen Unterton anschlägt, werden die Figuren nie verurteilt und bleiben alle sympathisch. Eine weitere Qualität. 
In "Tabu" steckt wesentlich mehr, als ich es unmittelbar nach der ersten Sichtung vermutet hätte. Miguel Gomes kennt das Kino in all seinen Facetten. Mit diesen Facetten spielt er, nicht nur zum Tarantinoesken Selbstzweck (was auch Spaß machen kann), sondern immer im Kontext einer komplexen Geschichte. Wenn die in Teilen auch noch humorvoll und sensibel daherkommt, dann ist das schon verdammt gutes Filmemachen.

Text: Gordon Cole