Montag, 23. Juli 2012

Shame (2011, Dir: Steve McQueen)


Steve McQueen, für mich neben Nicolas Winding Refn und Tomas Alfredson Europas größte Regie-Hoffnung, hat nachgelegt und liefert nach seinem mehr als gelungenen Erstling "Hunger" mit "Shame" einen in allen Belangen ebenbürtigen Nachfolger ab. Der Autorenfilmer brilliert erneut durch ein kluges, recht kompromissloses Buch und durch seine wirklich fantastische Bildersprache. Wie er den leidenden Michael Fassbender Frame für Frame durch das graublaue New York begleitet, ist schlicht und ergreifend große Regiekunst. Handkamerapassagen wechseln sich ab mit schönen Plansequenzen und hervorragenden Standbildern von teilweise mehr als fünf Minuten Länge, in welchen ganz besonders das Talent von Fassbender, Carey Mulligan und Nicole Beharie deutlich wird. 
Meine hohen Erwartungen wurden nicht enttäuscht, "Shame" zählt ganz klar zu den besten Filmen des letzten Jahres.

Text: Le Samourai

Sonntag, 22. Juli 2012

Nelle pieghe della carne (1970, Dir: Sergio Bergonzelli)


Sergio Bergonzelli schafft mit "Nelle pieghe della carne" ("In the Folds of the Flesh") so etwas wie eine Parodie auf das eigene Genre. 
Die Produktion leitet mit einer Reihe von eher skurillen Figuren ein, nur um dann nach etwa halber Laufzeit dem absolutem Anarchismus die Überhand zu belassen. Eine dramatisch unterlegte Auflösung beginnt die Andere zu jagen und Charaktere werden eingeführt, nur um nach kurzer Zeit im Säurebad aufgelöst zu werden. Der ganze Irrsinn wird verwoben mit Flashbacks, die sehr an bestimmte Jess Franco Nazisploitation erinnern und zu allem Überfluss wird auch einer der Haustiergeier noch niedergestreckt. Komplementär dazu werden die sonst eher vereinzelt eingesetzten Stilmittel hier en masse aufgefahren: Reißende Kameraschwenks, Crash Zooms, Kaleidoskop Effekte, unglaubliche Pappmaschee FX und eine auffällig dissonante Untermalung. 
Wäre Matt Groening inspiriert gewesen in einer Simpsons Episode den Giallo zu referenzieren, so ähnlich hätte es wohl ausgesehen. 

Text: FredFuchs

Un gatto nel cervello (1990, Dir: Lucio Fulci)


Lucio Fulci war sich äußerst bewusst, dass er spätestens zu Beginn der 80er für einen Großteil seiner Anhänger lediglich zum Lieferant für möglichst blutrünstigen Inhalt geworden war. 
Somit ist sein "8 1/2" vordergründig ziemlich genau das, was man erwartet. Ein recyceltes Gore-Showreel von und mit Dr. Fulci, extrem in allen Belangen und mit viel Nebel. Darüber hinaus aber auch eine höchst schwarzhumorige, selbstreferentielle Komödie voller Seitenhiebe auf die Mediengewalt-Debatte - für Fans mehr als sehenswert.

Text: FredFuchs

Soy Cuba (1964, Dir: Mikhail Kalatozov)


Soy Cuba ist einer der stärksten Anhaltspunkte, der verdeutlicht, welche Schätze in den Grenzbereichen der Filmkultur schlummern. Finanziert von der Sowjetunion als reines Vehikel zur Propagierung des Sozialismus liefert Mikhail Kalatozov ein zutiefst humanitäres Stück visueller Poesie. 
Quasi als trojanisches Pferd der Propagandafilme wird das zugrunde liegende Verlangen der Protagonisten nach Freiheit und besseren Lebensumständen bewusst durchsichtig von sozialistischen Parolen und politisch durchtränkter Symbolik maskiert, was dem Film das wunderbar ironische Schicksal der Zensur in der UdSSR und späterer Weihe in den USA bescherte. 
Es entstehen episodenhafte Einblicke, Kurzgeschichten, in denen die Narrative stetig innehält zugunsten von meditativer Portraitierung der Gegebenheiten in einem Land, aufgewühlt durch aufeinanderprallende Ideologien und Revolution. Das Werk ist sich seiner wundervollen Einstellungen und prägnanten mise-en-scene deutlich bewusst und kostet jedes Bild genüsslich aus - mit beispielloser Wirkung. 
Auf technischer Ebene laesst einen der Film perplex zurück, die Komplexität ist schwindelerregend (hier wird die Unterstützung durch ein kommunistisches Land besonders deutlich) und die Kameraarbeit wurde nicht nur mehrfach zitiert (wahrscheinlich am offensichtlichsten 1997 in PTAs "Boogie Nights"), sondern stellt selbst 40-50 Jahre später entstandene, in dem Zusammenhang oft als Vergleich genannte Werke wie "Wings of Desire" oder "The Tree of Life" in den Schatten. 
1964... vor der Zeit von Steadicams und handlichen Kameras, die Leidenschaft zur Ausdrucksform und Experimentierfreudigkeit ist außerordentlich beindruckend und zu jeder Sekunde spürbar; ein Meisterwerk, welches seinen ehemaligen Zweck bereits lange überdauert hat.

Text: FredFuchs
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Filmgeschichtlich, entstehungstechnisch, inszenatorisch, bildgestalterisch: Ein Wunder. 
SOY CUBA, lange in sowjetischen Kellern unter Verschluss und Anfang der 90er von Coppola und Scorsese aus der Versenkung geholt, ist ein UNFASSBARES Meisterwerk russischer Filmkunst, ein historisch einmaliges Zeitdokument, ein Film mit derart atemberaubender Kameraarbeit, wie ich sie in knapp 1600 Filmen zuvor noch nie gesehen habe. Die Plansequenzen, die Kamerameister Sergei Urusevsky 1964 auf die Leinwand gezaubert hat, stellen selbst die herausragenden Arbeiten von Welles ("Touch of Evil", Kamera: Russell Metty), Godard ("Weekend", Kamera: Raoul Coutard) oder Cuarón ("Children of Men", Kamera: Emmanuel Lubezki) mühelos und eindrucksvoll in den Schatten. 

Text: Le Samourai

Network (1976, Dir: Sidney Lumet)


Ein furioses, zynisches Drehbuch, eine staubtrockene, technisch ausgezeichnete Regie (samt Kamera und Montage) und durch die Bank herausragende schauspielerische Leistungen (Faye Dunaway, William Holden, Peter Finch, Robert Duvall) machen "Network" zum besten Lumet neben "12 Angry Men". Ein nach wie vor brandaktuelles, zeitloses, erstaunliches Meisterwerk. 
Throw away your television.

Text: Le Samourai

Montag, 9. Juli 2012

Hugo (2011, Dir: Martin Scorsese)


Großes (modernes) Kino. Größer geht's nicht. 
Eine Ode des vielleicht größten zeitgenössischen Magiers an einen der allerersten Magier und Pioniere dieser wunderbaren Kunstform. 
Die Bilder, die Scorsese hier auf die Leinwand zaubert, lassen einem den Atem stocken, die Magie, Schönheit und auch bezaubernde Einfachheit der Geschichte lassen einen wieder 10 Jahre alt werden. Die letzte halbe Stunde ist schlicht perfekt und eine Offenbarung für jeden Filmfreund. 
Danke Marty, dass du mich erinnert hast, warum ich das Kino so liebe.

Text: Le Samourai

Montag, 2. Juli 2012

Warrior (2011, Dir: Gavin O'Connor)


Es gibt Dinge, die werde ich einem Film nie abkaufen. Dazu gehört ein gut aussehender Physiklehrer mit blondem Trophy Wife und zwei Kids, der wieder in den Mixed Martial Arts-Ring steigt, um sein American Dream-Vorstadthaus vor der Pfändung zu bewahren. Auch sonst ist "Warrior" nach Minute 10 so vorhersehbar wie es nur geht. Und genauso unrealistisch. 
Sieht man aber von der krass pathetischen Machart ab, muss man sagen, dass die Kämpfe - besonders natürlich der Endfight - absolut mitreißend und technisch perfekt inszeniert sind. Und Tom Hardy ist wie immer eine Wucht. Auch Nick Noltes Leistung sticht definitiv heraus, auch wenn er es zu selten zeigen darf. Das an sich starke Familiendrama wird in wenigen Szenen kurz mal ausgesprochen. Amistyle eben, der sich auch hier wieder bei seinen starken Darstellern bedanken darf. 
Insgesamt verschenkt der Film für mich einen Teil seines Potenzials, opfert es dem Showeffekt und erreicht z.B. nicht die Tiefe eines "The Wrestler". Aber "Warrior" bleibt trotzdem ein guter Film mit tollen Hauptdarstellern und super Kampfszenen.

Text: Gordon Cole

Blutzbrüdaz (2011, Dir: Özgür Yildirim)


Überraschung des Jahrtausends! Naja, eigentlich auch nicht. Dass Sido intelligenter ist als Bushido war mir vorher schon klar, und dass sein Ausflug in die Filmwelt weitaus ironischer, stilvoller, "realer", witziger und hörenswerter ist, eigentlich auch. Dennoch bin ich wirklich überrascht, WIE gut sein Film letzten Endes geworden ist. Natürlich bedient das Drehbuch alle erdenklichen Klischees des Genres, aber auf erfrischend augenzwinkernde Art und Weise. Natürlich sind Sido und B-Tight keine Schauspieler, aber es macht trotzdem extrem Spaß, ihnen zuzuschauen. Dies liegt in erster Linie an ihrer unverstellten Authentizität, denn zum Glück wird fröhlich berlinert und alle zwei Sekunden ge"alta"t, anstatt weltfremdes und unpassendes Hochdeutsch zu reden. Der kräftige Tritt in die Major-Label-Ärsche ist wunderbar und war schon lange überfällig. Wenn im Abspann dann Sidos "Geboren um frei zu sein" mit genialem Ton Steine Scherben-Sample erklingt, ist sogar Gänsehautalarm angesagt. 
Sicherlich nur empfehlenswert für Leute, die mit Hip Hop etwas anfangen können (auch dank vieler Details wie Biggy-Platte, DJ Desue-Kurzauftritt, Mikrophon-Nerd-Talk, Hommage an die gulte alte Berliner Battlerap-Zeit und Underground Tapes, etc...) - für mich der beste deutsche Film, den ich seit langer Zeit gesehen habe. Ganz ohne Scheiß!

Text: Le Samourai